Die Stimmung auf dem Autohof ist großartig. Trotz, oder wegen der frischen Temperaturen bildet sich um ein Lautsprecherfahrzeug auf Peugeot 403-Basis, mit passender Beat-Musik ein spontaner Tanzkreis. Zweiräder werden abgeladen und in Gang gebracht, ein französischer Landpfarrer knattert auf dem Velosolex herum, ein Trecker hat frisches Gemüse im Korb auf der Anhängerkupplung, an einem Peugeot 202 der Vor- oder frühen Nachkriegszeit hängt ein Einachsanhänger, beladen mit einem Korb (künstlicher) Hühner, die beim Vorbeilaufen laut zu gackern beginnen. Langweilig ist ganz anders!
Es ist schon fast Mittag, bis auch wir dann endlich losfahren können. Eine bestimmte Ordnung gibt es nicht. Jeder startet, wann er mag, stellt sich in die Schlange und wartet, dass es weitergeht – so wie es im Stau halt ist. Mit der Einfahrt in den gesperrten Bereich wandelt sich die Szenerie und nimmt die Gestalt eines großen Volksfestes an. Überall alte Autos, Menschen die am Straßenrand tanzen; die Flosse wird gar mit Weihwasser gesegnet! Alles grüßt und lächelt – es ist fantastisch!...
Jetzt gilt es, die 15Km lange Strecke Richtung Roanne zu bewältigen, um die Trophäe zu ergattern. Der Stau hat immer noch Staucharakter und obwohl der moderne Verkehr jetzt außen vor ist, geht es nur langsam, dafür mit ausdauerndem Hupen, voran. Was aber sonst nervt, gehört hier einfach zum guten Ton. Tim hat sich wochenlang in die französische Musikszene der sechziger Jahre eingearbeitet und ist per USB-Stick bestens mit dem passenden Sound für das Innenraumambiente gerüstet. Französische Beat-Musik der 60er und ihre Interpreten sind international weniger bekannt. Aber Jacques Dutronc, Dani, Stella, Jacquelin Taieb oder Daniel Gerard haben dem aus England herüber schwappenden Beat die ganz eigene französische YéYé-Note verliehen und stehen der Vorlage nicht nach. Über ihre in Deutschland bekannten Nummern hinaus haben auch Brigitte Bardot, Francoise Hardy (spätere Ehefrau von Dutronc), Serge Gainsbourg & France Gall und sogar F.R. David („Words“ aus den 80ern) mit starken Nummern zur Beschallung der Jugend beigetragen.
Nach dem Erhalt des Trophäenwimpels fahren wir zurück in den Ort. Der Aldi hat geöffnet, Wurst, Baguette und Käse sind rasch beschafft. Tim parkt die Flosse zentral auf dem Gehweg und ich will versuchen die Göttin nachzuholen, und mich selbst auch etwas aufzustauen. Schnell finde ich einen Simca 1300 Piloten, der einen Platz im Auto frei hat und mich zur Aire des Verités mitnimmt. Auf Schleichwegen geht es dann ohne Teilnehmerplakette, die ohnehin niemanden mehr zu interessieren scheint, zurück in den Ort, bis ich dort auf den Stau treffe und mich endlich einreihen kann. Als ich den Rest der Gruppe erreiche, ist bereits alles für das zünftige Picknick vorbereitet. Ab jetzt sind wir Zuschauer und Fotoobjekt in einem!
Unsere roten Wechselkenneichen erregen offenbar Verwirrung und wir werden trotz des D-Schilds oft für Belgier gehalten. Auskunft Heischenden händigt Tim zur Aufklärung die einschlägigen Informationsschreiben der Initiative Kulturgut Mobilität in Landessprache aus. (http://www.kulturgut-mobilitaet.de/dokumente/verschiedenes/334-07er-merkbltter-frs-ausland) Zusätzlich stellt er musikalisch auf deutsche Schlager der 60er um. Außerdem wird die Klorolle auf der Hutablage gegen eine Dose Sauerkraut im selben Format ausgetauscht.
Mit der Dämmerung löst sich der Stau auf, was wir zum Anlass nehmen die Autos zum Veranstaltungsort der abends stattfindenden 60er Jahre YéYé Show umzuparken und uns noch ein wenig umzusehen. Die vielen alten Autos, die jetzt mit gelbem Scheinwerferlicht die Straße entlang rollen, schaffen ein authentisches abendliches Ambiente. Die Revue endet nach 1,5 kurzweiligen Stunden um 23.00Uhr und wir machen uns auf den Weg zu unserem Quartier nach Vichy. Tim hatte schon bei unserem ersten Treffen mit der Vermieterin wegen der Option einer Verlängerung angefragt und deshalb würden wir ausschlafen können, was uns vor dem Zubettgehen den Verzehr der beim Aldi erworbenen Rotweinflasche, sowie der Reste des Picknicks erlaubt.
Wir haben natürlich nicht nur alte Autos gesehen, sondern auch die älteste gotische Kathedrale Frankreichs in Sens, die Ruinen des ehemals größten Sakralbaus des Abendlandes in Cluny, dessen Miniaturpendant in Paray-le-Monial, das Motiv für das älteste Foto der Welt in Loup-de-Varennes, das Idealbild einer französischen Ritterburg bei Rochepot, das Burgbauexperiment bei Guédelon, viele Relikte des französischen Straßenwesens der fünfziger und sechziger Jahre und natürlich wunderschöne Landschaften bei meist schönem Wetter. Wir waren bei „Goldie“ Marina Wolters, haben Baumärkte besucht, skurrile Herbergen bewohnt, preiswert Eingekauft, gut gegessen, getrunken und geschlafen. Wir sind (fast) problemfreie 2572km gefahren und es hat p.P. ça. 500€ gekostet.
Im Jahr 2018 wird der nächste große Stau in Lapalisse erwartet. Wir wären dabei.
Stefan R.